Zufällige Begegnung dreier Herren in höheren Ämtern mit den drei Freunden Gert, Hans-Jürgen und Alfons (von oben nach unten) auf dem Köln-Bonner Flughafen
Was ist Kunst?
Vor langer Zeit wollte ein alter Freund von mir wissen, welche Lektüre ich ihm empfehlen würde, um etwas über die Kunst zu lesen. Leicht verständlich und hilfreich, um eine Orientierung zu haben. Ich nannte das Buch von Hans-Jürgen Müller „Kunst kommt nicht von Können“.
Es war wichtig für ihn, die Basis, von der aus er bisher Kunst wahrgenommen hatte, zu erweitern. Konkret hieß das, sein Verständnis von Kunst hörte mit der Renaissance auf. Für ihn war Raffael ein Künstler, dessen Bilder von einem normal Sterblichen nicht geschaffen werden konnten. Das war Kunst! Das war Können. Für ihn hörte Kunst auf, als sie das Erscheinungsbild, das jedem geläufig war, in Farbräusche, perspektivische Brechungen, Aufhebung von Raum verwandelte. Kurzum alles, was wir nicht als sinnlich wahrnehmbare Alltagserscheinung sehen, konnte nicht adäquat als Kunst vermittelt werden.
Also, nach seiner Meinung kommt eben Kunst doch von Können.
An diesem Maßstab zerbrach sozusagen alles Bemühen, die Ausdrucksformen, die Skala der Gehalte in unbekannte Dimensionen zu verlagern. Was! Das soll Kunst sein? Mit dieser Frage wurden schon die Impressionisten abgelehnt, und noch mehr die Expressionisten. Und ganz schlimm wurde es, als die Abstraktion in die Kunstwelt einzog. Kandinsky? Geometrische Kritzelei! Die schrägen Gestalten von Kirchner, Heckel oder Schmidt-Rottluff? Unmöglich! Erst mit der Erweckung durch die Naziideologie wurde der Mensch wieder zum Menschen. Proportionen, Detailgenauigkeit, alles das, was dem unschuldigen Auge als natürliche Abbildung geschenkt wurde.
Die im Dienste politischer Auftragsmalerei entstandenen Bildwelten waren nach dem 2. Weltkrieg bekanntlich obsolet. Der Hunger nach freiem Ausdruck und emotional gesteuerten Gestaltungen stieß im Publikum auf entsetzte Betrachter. Geprägt durch die Propaganda staatlich verordneter Kunstauffassung musste die gegenstandslose Malerei wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Mit Begriffen wie Informel, action painting, nouveau realisme wurde der einfache Betrachter überfordert. Wollte man sein Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst auf den Punkt bringen, so brauchte man nur zu sagen: Picasso! Mit diesem Schlüssel zum Unverständnis der scheinbar aus dem Ruder gelaufenen Malerei konnte jeder was anfangen. Punkt, Punkt, Komma, Strich. Mit dieser Formel, werden Arbeiten von Kindern beschrieben und nahtlos auf die Kunst eines Picasso und Konsorten übertragen. Die Kluft, die sich auftat, war im sachlichen Gespräch nicht zu überbrücken. Andere Ismen der Kunst wie Kubismus, Futurismus oder Surrealismus trugen wesentlich dazu bei, das Meinungsbild, was Kunst sei, zu verteufeln.
Zurück zur Frage, ob Kunst von Können käme, war leicht zu beantworten. Da braucht es kein großes Können, um eckige Körper bei den Kubisten, gestotterte schichtenweise Abbildungen von Gegenständen und Menschen bei den Futuristen oder von Raum, Zeit und Logik entfesselte Welten bei den Surrealisten wiederzugeben. Kranke Hirne, mehr nicht. Darüber gab es Veröffentlichungen in der Zeit des Nationalsozialismus und schuf das Etikett „Entartete Kunst“.
Malerei suchte den intakten Menschen, dessen Liebe zur Welt in anschaulichen Beispielen von Landschaften, trautem Heim oder als volksnahe Beschreibung von Alltag und Arbeitsleben beschrieben wird. Sich davon zu lösen und Welterfahrung auch in anderen Winkeln sichtbar zu machen als es die wiederholten Klischees versprechen, ist die Aufgabe der Kunst. Mit welchen Mitteln das geschieht, ist abhängig von der Zeit, in der diese Erfahrungen und Entwicklungen in Technik und Wissenschaft erfolgen.
War der Freund damit auf den Weg zu neuen Einsichten in Sachen Kunst zu bringen? Einen Anfangserfolg gab es, als ich ihn auf unseren Nachmittagstisch mit Tee und Gebäck hinwies und anmerkte, ein solches einmaliges Ereignis unserer gemeinsamen Teestunde könnte fotografiert, gemalt oder gezeichnet werden, sozusagen als ständige Erinnerung. Man kann aber auch hergehen und diese Tafel mit allem, was darauf steht, fixieren und an die Wand heften, samt Tischplatte oder einer entsprechenden Unterlage. So wie es Daniel Spoerri vor 60 Jahren vormachte. Das wäre ein kreativer Akt, um als Memento mori erhalten zu werden.